27. Juni 2012

Frankreich. Et tu felix Francia convivatur

100 € pro Person
"Wo der Präsident der französischen Republik frühstückt"
 
Zum Vergleich: Wo die Bundeskanzlerin und ihr Team arbeiten
En comparaison : Où la chancellière et son équipe travaillent

Le Figaro klärt seine Leser auf über die Speisegewohnheiten der Regierung Frankreichs. Die Orte haben sich seit Amtsübernahme des sozialistischen Präsidenten geändert, man frühstückt im Regierungskreise nicht mehr im Elysée-Palast, sondern am offiziellen Amtssitz des Premierministers, im Hôtel Matignon. Das erspart seiner Favoritin Valérie Trierweiler das Tischdecken und den anschließenden Abwasch des Geschirrs.

Hollande laisse à Ayrault les commandes de la majorité, François Hollande überläßt Jean-Marc Ayrault die Leitung der Mehrheit. Jeden Dienstagmorgen, die Politiker sind nach ihrem verlängerten Wochenende aus ihren Wahlkreisen eingetrudelt, gibt's Frühstück. Gemäß der Verfassung Frankreichs liegt die Regierungsgewalt und die Verantwortung für die Richtlinien der Politik anders als in Deutschland in Händen des Staatspräsidenten. Der aber verspeist sein Croissant in seinem Palast. Es geht ihn nicht an, was die Erste Sekretärin Martine Aubry, der Präsident der Nationalversammlung Claude Bartolone, die Präsidenten der PS-Gruppen im Senat François Rebsamen, in Vertretung des aus privaten Gründen verhinderten Jean-Pierre Bel, und in der Nationalversammlung Bruno Le Roux sowie der Minister für die Beziehungen zum Parlament Alain Vidalies zur Politik des PS in der Nationalversammlung und zu den anstehenden Reformen zu sagen haben.

Der Präsident beschränkt sein Interesse darauf, bei einem Déjeuner von den Irrungen und Wirrungen der ersten Sitzung der Spitzen des Parti Socialiste informiert zu werden. Zwischen Hauptgang und Käse läßt er sich bei einem gepflegten Glas Wein von seinem Premierminister über den Terminkalender der kommenden Monate, zum Glück erst einmal beginnend mit Ferien, und vom einen oder anderen Reformplan berichten, der von den Anwesenden vorgeschlagen, erörtert und/oder verworfen worden ist. Statt der vorgesehenen 6000 neuen Stellen im Erziehungswesen können nach Ende der Ferien, Anfang September, in den Gymnasien gerade einmal 280 besetzt werden. Der Mindestlohn SMIC ist, wie im Wahlkampf versprochen und von zwei Millionen Betroffenen dringend erwartet, umgehend erhöht worden, um zwei Prozent, inflationsbereinigt um nullkommasechs Prozent, was weder Gewerkschaften noch Unternehmer freut. "Diese Ankündigung ist eine sehr starke Enttäuschung, und das ist ein sehr schlechtes Zeichen, das an die Beschäftigten gesandt wurde, die sich besonders zugunsten von François Hollande ausgesprochen haben," habe der Vertreter der kommunistischen CGT Paul Fourier gemeint.

Wir dürfen uns auf einen heißen Herbst gefaßt machen, die Vorstadt-Intifada von 2005 wird dagegen kalt aussehen; denn die minimale Erhöhung des SMIC, die nicht eingerichteten Lehrerstellen sowie alle anderen nicht verwirklichbaren Wahlversprechen werden nicht wettgemacht durch einige Tage mehr Ferien und den Kampf gegen die Prostitution. Wohin sich der Präsident der Republik und die Damen und Herren MinisterInnen während des Aufruhrs außer in den Elysée-Palast oder ins Hôtel Matignon verziehen können - nein, nicht wie Louis XIV nach Versailles, da hat er nur ein kleines Jagdschlößchen, den Pavillon de la Lanterne, sondern in die anderen Museumsgebäude, in denen die Regierung frühstückt, diniert und Empfänge ausrichtet, in denen Regierungsbeamte ihre Arbeitszeit verbringen und in Dienstwohnungen untergebracht sind, in die diversen Residenzen der V. Republik!

Der Präsident hat neben dem Elysée-Palast noch das Hôtel de Marigny zur Verfügung, in dem Schlößchen des 19. Jahrhunderts werden hin&wieder ausländische Staatschefs untergebracht, aber vor allem haben da auch einige seiner Mitarbeiter Schreibtische und Wohnungen. So muß er nicht allein frühstücken.

Damit die demonstrierenden Massen, die er im Wahlkampf mit seinen Verprechen eingelullt und zur Stimmabgabe für sich überredet hat, nicht sofort wissen, wo er steckt, kann er in das ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert stammende Palais de l'Alma ausweichen. Auch dort sitzen und residieren, auf 5 300 Quadratmetern, vom Studio bis zur Fünfzimmerwohnung, hochrangige Präsidialbeamte verschiedener Dienste, Kabinettsmitglieder und Berater. Im Westflügel ist der Hohe Justizrat beherbergt.

Wenn's ganz dicke kommt, flüchtet er wie seinerzeit der Premierminister Kardinal Mazarin mit Königin Anne d'Autriche und dem jungen König Louis XIV. Wohin flüchtet der Präsident François Hollande? Ins Fort de Brégançon, im Département Var. Diese Bastion aus dem 13. Jahrhundert nimmt so schnell kein Mob aus den Reihen des Jean-Luc Mélenchon ein.

Derweil verschanzen sich der Präsident der Nationalversammlung, die Minister mit ihren Kabinetten, Beratern, Favoriten und Favoritinnen, Intrigantinnen und Intriganten, mit den Maiordomus, Köchen, Dienern, Stiefelknechten und Stallburschen in ihren Schlössern, schieben die Riegel vor, amüsieren sich bei Banketten und bei der Quadrille à la Cour und träumen von der guten alten Zeit, von der Grande Nation. Etwas anderes kann man von ihnen nicht erwarten; denn daß aus solchen Museen keine moderne Politik kommt, sondern Retro, beweist die Regierung Frankreichs schon im Alltag.


Außenministerium am Quai d'Orsay

Justizministerium im Hôtel de Bourvallais


Der Präsident der Nationalversammlung im Hôtel de Lassay


Der Senat im Petit Luxembourg