22. März 2014

Unabhängigkeitserklärungen in der Europäischen Union


Sie sind im Eifer des letzten Gefechts um die Ukraine und die Krim bei den deutschen Medien verloren gegangen. Diese kümmern sich eher darum, in der Ost-Ukraine, die mehrheitlich wie die Krim nach einem Anschluß an Rußland strebt, ausschließlich solche Menschen zu interviewen, die in einer geeinten Ukraine bleiben wollen. So geschehen gestern im heute-Journal der Marietta Slomka.


Bergbau-Arbeiter für Ukraine, mit Video. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten schämen sich ob dieser Verfälschung nicht, und erst recht haben sie keine Probleme damit, zur Absicherung ihrer Propaganda gegen Rußland andere Unabhängigkeitsbestrebungen zu ignorieren, die Venetiens beispielsweise, das sich im Stadium der Sondierungen befindet, und dessen Abstimmung eben abgeschlossen ist. Zwei Millionen von 3,8 Millionen wahlberechtigten Bürgern der achtgrößten Provinz Italiens sagen "Ja" zur Unabhängigkeit. 992 Ergebnisse bringt Google News für plebiscito di indipendenza veneto.

Die konkret anstehenden möglichen Unabhängigkeitserklärungen ignorieren die Anstalten erst recht. Zur im September stattfindenden Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands wissen ARD-Tagesschau und ZDF-heute in den letzten Monaten nichts. Die Unterstützung für die Unabhängigkeit steigt laut der letzten, von Panelbase durchgeführten Umfrage auf 40 Prozent, berichtet Reuters, am 20. März 2014. 45 Prozent der Befragten wollten demnach dagegen stimmen.

Erst auf Seite 3 bringt Schottland Unabhängigkeit bei Google unter 159 000 Ergebnissen den ersten Treffer. Der Sender arte berichtet am 11. Juli 2013 in einer Reportage am Nachmittag darüber, es folgt die Tagesschau, am 26. November 2013, zur Mittagszeit, ab 14:05 Uhr.

Wo ich da doch immer Mord ist ihr Hobby im WDR schaue!

Die inzwischen sehr konkret werdenden Bestrebungen Kataloniens sind den Anstalten ebenfalls keine Nachricht wert. 6 590 Ergebnisse liefert Google für artur mas independencia catalunya. Artur Mas ist der Präsident des spanischen Teiles von Katalonien, mit Hauptstadt Barcelona, das viel kleinere, wirtschaftlich unbedeutende und deshalb von der Pariser Zentralregierung wenig beachtete Catalunya Nord liegt in Frankreich, heißt Roussillon oder auch Pyrénées-Orientales, und seine Hauptstadt ist Perpignan. In den Artikeln Frankreich. Die Armen des Languedoc-Roussillon und Frankreich besteht aus Paris und Umgebung kann man einiges darüber lesen. Es verwundert nicht, daß in den letzten Jahren auch in Nord-Katalonien die Unabhängigkeitsbewegung erstarkt. Belächelt jedenfalls wird im Gegensatz zu noch vor zehn Jahren keiner mehr, der meint, man könnte gemeinsam mit Süd-Katalonien einen eigenen Staat bilden.

Heute, einen Tag vor den Gemeindewahlen, gewinnt das Thema Bedeutung auf der Euroregion-Seite des Provinzblattes L'Indépendant. Catalogne : le président Mas prêt à une déclaration unilatérale. Katalonien: Präsident Mas bereit zu einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung. Das habe Artur Mas am letzten Wochenende in einem Kolloquium der Tageszeitung El Periodico erklärt. Sucht man danach, so findet man dort einen Artikel, vom 15. März 2014. Mas: "No descarto la declaración unilateral de independencia". Mas: "Ich schließe die einseitige Unabhängigkeitserklärung nicht aus." Wann? Wenn Madrid die mit 80 Prozent der Stimmen getroffene Entscheidung des katalanischen Parlaments über eine Volksabstimmung nicht anerkenne. Verteidigungsminister Pedro Morenés Eulate habe umgehend reagiert und in einer Radiosendung erklärt, der katalanische Präsident betreibe eine "illegale, absolut unannehmbare Aktion". Sanktionen habe er nicht angedroht, aber daß ein unabhängiges Katalonien aus der EU ausgeschlossen werde, ist sich Außenminister José Manuel García-Margallo gewiß. Katalonien raus, Ukraine rein, die Parallele zur Krim sei offensichtlich, erklärt er in Brüssel. Das Referendum soll in acht Monaten durchgeführt werden.

Erinnert sich jemand an einen Bericht dazu in ARD und ZDF?

Zu der Zeit stellen die USA und die EU in der Ukraine eine schlagkräftige Bürgerkriegsarmee aus Rechtsextremen der Swoboda und des Rechten Sektors auf, genannt Nationalgarde, und bereiten ihre Sanktionen gegen Rußland vor.Die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF sind im Eifern gegen Wladimir Putin gefangen, die Welt besteht aus der Abstimmung über die Unabhängigkeit der Krim und aus der Wiederauflage des Kalten Krieges, der selbstverständlich von Wladimir Putin entfacht wird. Die marode EU und die deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten haben keine Zeit, sich um die Unabhängigkeitsbestrebungen auf EU-Territorium zu scheren: Schottland, Katalonien, Venetien, und demnächst wird man noch andere Regionen diesbezüglich vernehmen, auch in Bayern werden solche Stimmen laut werden, das ist nur eine Frage der Zeit.

Nicht nur der Euro, sondern das gesamte Konstrukt Europäische Union ist in seiner gegenwärtigen Verfassung zum Scheitern verurteilt. Aber das ist für ARD und ZDF kein Thema. Herbe Schlappe für Lucke, auf dem AfD-Parteitag in Erfurt, ist der Aufmacher bei tagesschau.de [Stand: 22. März 2014, 15 Uhr]. Steinmeier warnt vor Spaltung Europas, es brodelt der Krim- und Ukraine-Konflikt, selbstverständlich immer in bewährter Manier, hier der gute Westen, da das böse Rußland, auch ein halbes Dutzend der aktuellsten Aufmacher befaßt sich mit dem Thema. Transnistrien will nach Rußland. Sollte der Woiwode Vlad Dracula nicht zur EU gehören wollen? Das könnte den einen oder anderen Europäer fröhlich stimmen: Ein Blutsauger weniger! Der in Brüssel reicht aus!

Das ZDF und seine heute-Schau machen immerhin mit den morgen in Frankreich stattfindenden Kommunalwahlen auf, wobei das Menetekel Front National an die Wand geschrieben wird. Die Partei will in die Rathäuser, Rechtsextreme steigen im Ansehen? Oh, nein, von den Blockparteien Parti Socialiste, Union pour un mouvement populaire und ihren rechten und linken Derivaten, in Frankreich nennt man sie Pacte républicain, haben die Bürger spätestens seit Mai 2012 genug. Die einen wirtschaften das Land ab, während die anderen, statt Opposition zu machen, sich in Personalschlachten und Abhörskandalen aufreiben und um einen Kuchen kämpfen, den sie nicht besitzen. Ihre linken und rechten Partner machen derweil jeder, was er will, und da bleibt vielen Wählern der Front National als letzte Hoffnung.

"Erfolgreich ist die rechte Partei unter Marine Le Pen in Städten mit ökonomischen Problemen"? Wenn das so wäre, dann hätte Frankreich ab April 2014 nur noch Bürgermeister des Front National in den Rathäusern, allen voran im Hôtel de Ville von Paris. Na ja, ausgenommen vielleicht Neuilly-sur-Seine. Aber von Jörg Fischer, einem dpa-Mitarbeiter, der irgendwo an der deutsch-französischen Grenze wohnt, kann man keine belastbaren Informationen, sondern nur AgitProp über Forbach erwarten. Es fragt sich, warum das ZDF sich nicht an Kenner der Situation in Frankreich wendet.

Aber in heute.de geht es unmittelbar weiter mit der Ukraine und der Solidarität mit den Balten, da meinen die Zuschauer vielleicht, aufatmen zu können, sie werden wieder an die Hand genommen und aus dem kalten Wasser geführt, wie seit dem 13. November 2013.

Mag sein, aber es geht leider direkt in die Scheiße.