7. April 2015

Serge und Beate Klarsfeld. Memoiren eines Rächerpaares

L'Indépendant berichtet, am 7. April 2015, auf der Seite 36 über die Kämpfe der Serge und Beate Klarsfeld: Les combats de Serge et Beate Klarsfeld. Wie in allem, so auch im Gedenken an die Gerechten, hinkt unsere Provinz Nordkatalonien hinterher. Online findet man den Artikel auch nicht, er ist mehr ein Seitenfüller der Papierausgabe. Es geht im Artikel um die Memoiren, in denen sie über ihren Kampf seit den 60er Jahren berichten, um gegen das Vergessen der Shoah anzugehen und ehemalige Nazi-Kriegsverbrecher vors Gericht zu bringen.

Mémoires. Éditions Fayard-Flammarion, publication le 25 mars 2015. Im Oktober erscheint die Übersetzung der 900 Seiten in Deutschland, vor den USA, wo das Erscheinungsdatum noch offen ist.

Le Point und The Times of Israel bringen die AFP-Meldung über die Memoiren, am 31. März bzw. am 1. April 2015: Beate et Serge Klarsfeld, la leçon de vie d'un couple de justiciers.  Beate und Serge Klarsfeld, die Lektion fürs Lebens eines Rächerpaares. Dernières Nouvelles d'Alsace ziehen am 4. April 2015 nach: Seuls contre tous. Allein gegen alle. Ganz allein aber sind sie nicht; denn die Ohrfeige, durch die der Kampf der Rächer weltweit berühmt wird, für Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger seiner Nazi-Vergangenheit wegen, auf dem CDU-Parteitag, in Berlin, am 7. November 1968, geht auf Rechnung der DDR-Staatssicherheit. Sie setzt Beate Klarsfeld ein zur Diskreditierung und Schwächung der Bundesrepublik Deutschland. Die 2000 DM sind gut angelegt.

Das waren die Helfer der Staatssicherheit im Westen, titelt DIE WELT, am 22. April 2012, anläßlich der Kandidatur der Beate Klarsfeld auf dem Ticket der Linken:

"Anlässlich der Kandidatur der 'Nazi-Jägerin' Beate Klarsfeld bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten am 18. März deckte die 'Welt' auf, dass die SED ihre berühmte Ohrfeige gegen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger 1968 mit 2000 DM honoriert hatte. Klarsfeld räumte ein, von der Stasi mit Informationen für ihre vermeintlich hochmoralischen Kampagnen versorgt worden zu sein.

Nach den gleichfalls zahlreichen ehemaligen Nazis in der DDR habe sie dagegen nicht gesucht, weil sie keine Chance gesehen habe, sie dort vor Gericht zu bringen, verteidigte sich Klarsfeld."

Dafür hätte die DDR keine Devisen locker gemacht, wie denn auch? In der DDR gibt es entgegen besseren Wissens aller, die es wissen wollen, keine Nazis, erst recht keine Nazi-Verbrecher, jedenfalls nicht für Beate Klarsfeld - und für mich seinerzeit ebenfalls nicht.

Ich studiere in den 60er Jahren in Berlin, bin wie alle, die etwas auf sich halten, politisch links eingestellt und finde die Ohrfeige gut und richtig. Mein Kenntnisstand ist, daß die in der DDR in höheren Funktionen tätigen ehemaligen Nazis, von denen die bundesrepublikanischen Medien hin und wieder mit Häme berichten, im Dritten Reich entweder kommunistische Agenten oder geläuterte Mitläufer sind. Ich betätige mich aber auch nicht als moralisch hochstehende Nazi-Jägerin, von der man voraussetzt, daß sie die Szene kennt und ihre Verbündeten einschätzt. Auf der Website Faschisten in der DDR kann man sich über die Nazivergangenheit in der SBZ/DDR informieren.

Nazi-Funktionäre vom Rang des Kurt Georg Kiesinger, der ab 1933 in der NSDAP und ab 1940 im Auswärtigen Amt unter Joachim von Ribbentrop als Stellvertretender Leiter der Rundfunkabteilung tätig ist, finden sich in der Zeit der Nazi-Jagd auch in der DDR. Sein Freund Karl-Heinz Gerstner, wie er NSDAP-Mitglied seit 1933, durch den er seinen Posten im AA bekommt, ist in der DDR bis 1989 Chefreporter der Berliner Zeitung. Von 1955 bis 1988 ist er Kommentator des Radiosenders DDR I.

Selbstverständlich findet man über die Stasi-Verstrickungen der Nazi-Jäger nichts in der AFP-Meldung, wohl aber die Bemerkung des Rächers Serge Klarsfeld und seiner Frau Beate: "Man hat sich gesagt: Man wird den Kanzler vor die Tür setzen." Und das bereits bei dessen Amtsantritt, 1966. Sie wird dafür aus dem eben gegründeten Deutsch-französischen Jugendwerk entlassen. Arno Klarsfelds Augen funkeln, schreibt AFP. Er sitzt "in seinem Pariser Büro der Association des fils et filles des déportés juifs de France, der Vereinigung der Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten Frankreichs, während Beate im Nebenzimmer ein Fernsehinterview beendet."

Die Büros der Vereinigung liegen in den vornehmsten Gegenden von Paris und New York. Im Artikel Beate Klarsfeld. Madison Avenue und Rue de la Boétie erfährt man darüber mehr.

Der Zeitschrift ELLE erklärt sie, in einem am 4. April 2015 erschienene Interview, daß ihre Arbeit anfangs sehr schwierig gewesen sei, ohne Hilfe von außen, mit manchmal sehr heftigen Reaktionen, sie hätten Angst gehabt, ins Gefängnis zu kommen, und sie hätten reichlich materielle und finanzielle Probleme gehabt. Mit 2000 DM kommt man halt nicht weit.

Sie hätten alles geopfert für die Sache, ihre Karriere, Familienleben, materielle Sicherheit. Ihr gesamtes Geld hätten sie, zwei isolierte Bürger, in den Kampf gesteckt. Im Laufe ihrer Aktionen zur Aufrüttelung der Menschen in einer Epoche, in der niemand etwas  von der Vergangenheit hätte hören wollen, hätte man angefangen, über sie zu sprechen, ein Freundes- und Unterstützerkreis hätte sich gebildet.


Nazi-Jäger, chasseur des Nazis, ist heute ein einträgliches Geschäft für die ganze Familie. Sohn Arno, Rechtsanwalt wie sein Vater, bringt es damit zum Kandidaten der UMP zur Nationalversammlung, und er wird von Nicolas Sarkozy zum Präsidenten des Office français de l'immigration et de l'intégration (Ofii) ernannt, des Französischen Büros für Einwanderung und Integration.

In den Memoiren wird man die Information über die 2000 DM vergeblich suchen: Wer dort etwas dazu findet, kriegt von mir eine Deutsche Mark, sobald sie wieder eingeführt ist.

Antisemiten werden gut bedient mit der Moritat über die beiden. Er, Jahrgang 1935, Holocaust-Überlebender, Sohn eines in Auschwitz-Birkenau ermordeten Juden, sie, Jahrgang 1939, sich “verantwortlich” fühlende Tochter eines Wehrmachtssoldaten. Ihr Vater Kurt Künzel, wie ihre Mutter nicht NSDAP-Mitglied, ist ab Sommer 1940 in Frankreich und ab Sommer 1941 an der Ostfront eingesetzt, von wo er im Winter 1941/42 wegen Krankheit nach Deutschland entlassen wird und als Buchhalter in der Wehrmacht arbeitet. Er wird 1945 aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen.

Soweit zur Tochter eines Wehrmachtssoldaten, die sich "verantwortlich" fühlt.

Aber ihr Freund richtet sie auf. Serge hat mir gesagt (!): Man muß sich nicht schämen, Deutsche zu sein, aber man muß sich engagieren. Serge m’a dit : il ne faut pas avoir honte d’être Allemande, mais il faut s’engager. Das weiß sie also nicht allein.

Sie stellt sich dar als gelenkt von Serge Klarsfeld. Das ist es, was des Antisemiten Herz höher schlagen läßt: Der Jude zieht überall die Strippen. Der Jude sagt, wo es langgeht, und die Deutsche springt. Kennengelernt haben sie sich, oh, Sümbollik! auf dem Bahnsteig der Métro von Paris, am Tag, an dem ein israelisches Kommando in Argentinien Adolf Eichmann entführt, den Vollstrecker der Endlösung, am 11. Mai 1960. Welche Fügung des Himmels!

Serge schreibt der Beate, was sie zu tun hat: “Il faut poétiser ta vie, Beate, la recréer,” lui écrit Serge. Du mußt dein Leben dichterisch ausgestalten, Beate, es neu erschaffen. Betreffend Kurt Georg Kiesinger sind sie zusammengeschweißt. Aber, was tun? "Mit traditionellen Methoden funktionierte es nicht," sagt sie. Es bedarf eines sensationellen Auftritts. "Über uns hinauswachsen", ist das Mindeste, das ansteht. Das schafft sie, in dem sie Kurt Georg Kiesinger, auf dem Berliner CDU-Parteitag, am 7. November 1968, ohrfeigt. Dadurch wird der Kampf der beiden weltweit bekannt. Es bringt ihr einen Strauß Rosen des Schriftstellers Heinrich Böll ein, mit dem einzigen Wort: “Merci”.

Die Journalisten stehen Schlange für die Memoiren, filmen die anderen Werke des Serge Klarsfeld, das Lebenswerk Mémorial de la déportation des juifs de France, in dem Serge Klarsfeld die 80 000 aus Frankreich deportierten Juden erfaßt.

Heute sieht er seine Aufgabe darin, dazu ein Kartenwerk zu erstellen für Paris und für ganz Frankreich, worin die Adressen aller zwischen Juli 1942 und August 1944 deportierten Kinder erfaßt sind. So können die Franzosen sehen: Oh, das war ja im Nachbarhaus, oder: Oh, das war ja hier in unserem Haus! Oder gar: Sie wohnten in der Wohnung, in der wir heute wohnen! Ein Schauder läuft ihnen über den Rücken, und sie beginnen, ihr Leben "dichterisch auszugestalten", es "neu zu erschaffen".

Es geht doch nichts über tote Juden!

Erzählt werden in den Memoiren die mißlungene Entführung des Kurt Lischka, des ehemaligen Gestapo-Chefs von Paris, aus Köln, wo er unbehelligt lebt, und die Aufspürung von Klaus Barbie, in Bolivien, des "Schlächters von Lyon", 1983 nach Frankreich ausgeliefert und 1987 zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Gemeinsam verfolgen sie gerichtlich die Nazi-Kriegsverbrecher René Bousquet, Jean Leguay, Maurice Papon und Paul Touvier. Gegen den Willen des Staatspräsidenten François Mitterrand, der es schafft, einige Prozesse hinauszuzögern.

Sie haben, genauer gesagt, Serge Klarsfeld hat es auch geschafft, François Mitterand "mit einer List" (typisch jüdisch!) davon abzubringen, weiterhin Kränze an den Gräbern von Vichy-Helden nieder zu legen, Philippe Pétain und andere wurden so Jahr für Jahr geehrt. Er verbreitet nämlich die Nachricht, daß der Élysée-Palast ab sofort auf die Ehrung der Vichy-Helden verzichte. Dahinter kann François Mitterand nicht mehr zurück. Jacques Chirac anerkennt 1995 die Verantwortung Frankreichs für die Beteiligung an den Verbrechen der deutschen Besatzer.

"Selbst, allein auf uns gestellt, konnten wir über uns hinauswachsen," meint Serge Klarsfeld. "Jeder kann sehr viel mehr tun im Leben, als er das von sich selbst für möglich hält."

Beate Klarsfeld klagt derweil in einem Interview die Verletzung der Menschenrechte in Argentinien an sowie den Antisemitismus in Osteuropa, in Warschau oder in Prag. Kein Thema ist ihr der Judenhaß der Muslime in Frankreich, die Islamisierung und mit ihr die Entrechtung der Frauen.

Der Frauenzeitschrift ELLE erklärt sie, daß sie lutherisch getauft, aber nie gläubig gewesen sei, daß ihr Ehemann nicht praktizierender Jude und ihre Tochter mit einem Katholiken verheiratet sei. Ökumenisch nennt sie das. "Die Religionen sind gefährlich, weil ihre Extreme jedes in seiner Zeit, die Welt beherrschen wollen. Der Islam ist heute instrumentalisiert von Fanatikern, die alle Grausamkeiten in seinem Namen rechtfertigen. Die westlichen Demokratien sind sehr schlecht vorbereitet, dem entgegenzutreten."

Vor so viel Ignoranz bleibt man sprachlos zurück.

Zum Schluß gibt’s doch noch eine wesentliche Information, nämlich, daß es möglich wurde, Klaus Barbie zu überführen, weil Serge Klarsfeld in den Archiven unter Millionen Dokumenten ein Telex findet, das entscheidende Dokument, in dem Klaus Barbie die Deportation von 44 Kindern, im Alter von vier bis 17 Jahren, aus Izieu in die Vernichtungslager anordnet. Die geschieht am 6. April 1944.

"Eine Zeremonie hat an das Schicksal der 44 Kinder und sieben Erzieher erinnert, die am 6. April 1944 zusammengetrieben wurden im Maison d'Izieu. Der Präsident der Republik François Hollande hat den Vorsitz der Gedenkveranstaltung geführt," berichtet die Fondation de la Shoa.

Über Izieu liest man im Indépendant auf einer Seite davor, nicht online, aber wenn man in den Google News François Hollande Izieu eingibt, findet man die geballte Heuchelei eines Präsidenten, der nichts, aber gar nichts unternimmt, die lebenden Juden Frankreichs zu schützen. Das ist für ihn mit der jährlichen Teilnahme am und Reden Schwingen beim Dîner du CRIF  erledigt.